Was macht Musik mit uns? Wirkungen von Musik auf Körper und Seele

Die wohltuende Wirkung von Musik kennt jeder Mensch aus eigener Erfahrung. Inzwischen kann die Hirnforschung auch erklären, aus welchen Gründen Musik für uns so wichtig ist und gut tut.

Die Menschen haben zu allen Zeiten in allen Kulturen Musik gehört und Musik gemacht. Singen gehört schon seit Hundertausenden von Jahren zu unserem Verhaltensrepertoire und war möglicherweise ein Vorläufer der Sprachen. Die ältesten Musikinstrumente, kunstvoll verzierte Flöten aus Knochen und Elfenbein, sind über 40.000 Jahre alt und wurden in den Höhlen des oberen Donautals gefunden. Die erste bildliche Darstellung eines musizierenden Menschen ist der Schamane aus der „Caverne Du Volp“ in Südfrankreich, der einen „Mundbogen“, ein der Maultrommel verwandtes Musikinstrument, spielt. Das Alter dieser Höhlenmalerei wird auf 18.000 Jahre geschätzt.

Aber warum haben eiszeitlichen Menschen musiziert, gesungen und getanzt? Was hat sie angetrieben, ihre kostbare Zeit für das Bauen von Instrumenten und das Einüben von Spielfertigkeiten einzusetzen? War es nicht viel wichtiger, für andere Grundbedürfnisse, für Nahrung, Wärme, und Sicherheit zu sorgen?

Die Antwort kann nur sein: Musik war für diese Menschen so wichtig wie Essen und Trinken. Denn Musik hat mächtige Wirkungen: Musik erzeugt Emotionen und teilt Emotionen mit, Musik schafft Gemeinsamkeit, Musik erhöht die Lebensfreude, rhythmische Musik synchronisiert Aktivitäten, Musik kann tröstende oder bewegende Erinnerungen aufrufen und Musik kann uns ganz von den Mühen des Daseins befreien und uns in eine andere, bessere Welt versetzen. Musik ist Teil unserer Spiritualität, keine Religion der Welt kommt ohne Musik aus.

Musik hören ist Gehörbildung

Musik erzeugt Emotionen. Leise, dunkle, harmonische Klänge von Instrumenten wirken beruhigend und Vertrauen erweckend. Ein plötzlicher, lauter und schriller Einsatz der Geigen wie in der berühmten Mordszene im Film Psycho von Alfred Hitchcock kann dagegen zur Ausschüttung von Stresshormonen, zum Anstieg des Blutdrucks und zur Beschleunigung des Herzschlags führen. Diese Reaktionen werden reflexartig ausgelöst und stellen sich sogar während des Schlafens ein. Für starke und dauerhafte emotionale Wirkungen von Musik sind allerdings andere, erlernte Mechanismen wichtiger. Dazu muss man eine wesentliche Eigenschaft von Musik bedenken: Musik entfaltet sich in der Zeit. Jeder gerade erklingende Klang erzeugt im Hörenden Erwartungen des nächsten Klanges und jeder Melodieabschnitt löst in unserem Wahrnehmungssystem unbewusst und automatisch Voraussagen darüber aus, wie diese Melodie weiter geht. Diese Erwartungen werden durch Hörgewohnheiten und durch Erinnerungen, also durch unsere „Hörbiographie“ geprägt.

Musik erzeugt Emotionen.

Hören von Musik beruht auf Lernvorgängen, die uns lebenslang begleiten. In der Kindheit bilden wir unser Gehör, lernen Tonhöhen und Rhythmen zu unterscheiden. Nach und nach reift auch das auditive Gedächtnissystem heran und Jugendliche können zahlreiche Klänge und Harmoniefolgen als Muster erkennen und einspeichern. Das Gedächtnis für Musik wird mit jeder Hörerfahrung trainiert und so gelingt es, sich zunehmend in komplexe Strukturen einzuhören und ungewöhnliche Klänge, neue Stilrichtungen, Variationen, musikalische Formen etc. zu erkennen. Diese Lernleistung wird von unserem Gehirn mit dem Hormon Dopamin belohnt und führt zu emotionaler Befriedigung. Grundsätzlich ist es nämlich so, dass unser Gehirn Ordnungsbildung und Klassifizierungen liebt, denn dadurch wird die unüberschaubare Komplexität unseres Daseins reduziert und die Welt wird für uns verstehbar und voraussehbar. Das Hören von Musik ist also immer „Gehörbildung“, bei dem in unserem Kopf aus dem akustischen Chaos zu Beginn eines Musikstückes nach und nach eine Ordnung entsteht. Es ist die Umwandlung von Unsicherheit in Sicherheit und gleichzeitig die Erweiterung unseres auditiven Gedächtnisspeichers. Je mehr Klänge, Melodieverläufe, musikalische Strukturen wir kennen, umso eher wird es gelingen, uns in der Welt des Hörens zurecht zu finden.

Warum viele Menschen Gänsehaut beim Hören von Musik bekommen.

Viele Menschen kennen Musikstücke, bei denen sie eine Gänsehaut empfinden oder ihnen Tränen in die Augen treten. Für mich ist die Arie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“ aus der Matthäus-Passion von J. S. Bach ein Gänsehautstück. Derartige beseelte emotionale Momente sind Gründe, warum wir das Hören von Musik als eine wichtige Bereicherung unseres Lebens empfinden. Bei diesen Ereignissen werden zusätzlich zu dem Belohnungshormon Dopamin das Glückshormon Endorphin und das Aufmerksamkeitshormon Noradrenalin im Gehirn ausgeschüttet. Auch das willkürlich nicht beeinflussbare autonome Nervensystem wird in seinem aktivierenden Sympathikusanteil in Gang gesetzt. Dies führt dazu, dass sich die Körperhaare aufstellen und wir den wohligen Schauer empfinden. Die seelische „Herzerwärmung“ wird dann auch noch durch eine Ausschüttung des „Kuschelhormons“ Oxytocin verstärkt. Die Hormone bedingen, dass „Gänsehautmusik“ sehr stabil im emotionalen Gedächtnis eingespeichert wird und oft über Jahrzehnte in der Erinnerung bleibt.

Welche Musik ist es nun, die diese Gänsehaut auslöst? Es gibt kein für jeden Menschen gültiges „Gänsehautrezept“, aber einige allgemeine Regeln wurden gefunden: Zunächst ist die Reaktion auf bekannte Stücke wesentlich größer als auf unbekannte. Das liegt daran, dass auch die mit der Musik verknüpften Erinnerungen und früheren emotionalen Erlebnisse wichtig sind. Musikalisch sind solche starken Momente durch plötzlicher Strukturbrüche und Überraschungen gekennzeichnet. Es muss also etwas Interessantes in der Musik passieren. Das kann das Anschwellen der Lautstärke, eine höhere Energie im hohen Frequenzbereich, eine plötzliche Pause, aber auch das Einsetzen einer besonders ausdrucksvollen Stimme wie in der Bach-Arie sein. Möglicherweise war die Gänsehautreaktion in der Evolution des Menschen wichtig, um neue akustische Ereignisse schneller und zuverlässiger im Gedächtnis zu behalten und um den Menschen unter ihren harten Lebensbedingungen Momente des Glücks zu verschaffen.

Musik machen als Gehirnjogging

Ein Instrument zu lernen, ist für unser Gehirn eine gewaltige Herausforderung. Denn es müssen überaus komplizierte feinmotorische Steuerprogramme erstellt und abgespeichert werden, die dann die Bewegungen zahlreicher Muskelgruppen koordinieren und zeitlich und räumlich präzise kontrollieren. Schon nach wenigen Stunden des Übens vernetzen sich die Hörzentren und die Bewegungszentren der Großhirnrinde. Die Bewegungsplanung wird schrittweise verfeinert, die Muskelaktivierungen werden optimiert und die musikalische Vorstellung wird ausgebildet. Während dieser Übevorgänge überwacht das Kleinhirn die zeitliche Abfolge der Bewegungen auf das Genaueste. Sobald die Bewegungen gut eingeübt sind, werden sie als Steuerprogramme automatisiert und in einem tief gelegenen Teil des Gehirns, in den Basalganglien, als Handlungsgedächtnis abgespeichert. Dort sind bereits zahlreiche Bewegungssteuerprogramme als Gedächtnisspuren abgelegt. Dazu gehören zum Beispiel Schreiben, Schwimmen, Fahrradfahren, und eben auch unsere geübten Tonleitern, Akkordgriffe und Lagenwechsel. Was einmal im Handlungsgedächtnis gespeichert ist, ist schwer zu löschen. Daher ist es vor allem am Anfang wichtig, die Grundlagen des Instrumentalunterrichts richtig zu lernen und sich durch gut ausgebildete, einfühlsame, humorvolle Instrumentalpädagoginnen und -pädagogen anleiten zu lassen.

Warum Musik uns glücklicher macht

Es ist leicht einsehbar, dass Musizieren zahlreiche positive Auswirkungen hat. Menschen, die Musik machen, haben bessere Konzentrationsfähigkeit, machen weniger Rechtschreibfehler und besitzen einen größeren Wortschatz. Sie erkennen eigene und fremde Emotionen leichter und haben in einer lauten Umgebung weniger Probleme, Sprache zu verstehen. Der Intelligenzquotient scheint zwar nicht wesentlich durch das Musizieren beeinflusst zu werden, aber musizierende Menschen sind kooperativer und hilfsbereiter. Und musizierende Menschen haben höhere Lebenszufriedenheit, sind weniger depressiv und auch körperlich gesünder, denn Musizieren ist auch körperliche Bewegung und Selbstfürsorge: wer Musik macht, ist nett zu sich!

Wer Musik macht, ist nett zu sich!

Aber das sind nicht die wichtigsten Gründe, warum wir Musik lieben! Musik ist Teil unserer genetischen Ausstattung und wie Religion Trost für die großen menschlichen Beunruhigungen: Trost, für unsere Gewissheit, dass wir sterben müssen, Trost für die Einsicht in das „Ausgeliefertsein“ unseres Daseins und Trost für unsere existentielle Einsamkeit. Diese tröstende Kraft der Musik kann mit Worten nicht hinreichend präzise beschrieben werden. Sie gehört zu dem Kern unseres Bedürfnisses nach Musik, von dem Victor Hugo so treffend gesagt haben soll: „Die Musik drückt das aus, was mit Worten nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“.

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