Jakob Schwerdtfeger: Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist Kunst

dtv-Verlag, München 2023, 189 S., 22 EUR

Zur Not können einige als Teppich drapierte Wurst- und Gurkenscheibchen als Kunst gelten. Die Idee, ein solches Arrangement in ein Museum zu stellen, ist schlicht bescheuert. Einerseits. Doch andererseits? Wer die elitären Reden hört, die vor solchen Kunstwerken gehalten werden, erkennt: Die Kunst heute hat ein Imageproblem.

Hilft ein Blickwechsel? Schwerdtfeger schlägt vor, in sein imaginäres Museum zu kommen und sich von zehn berühmten Werken provozieren zu lassen. Seine These: Kunst dieser Art könnte „schön“ sein. Der menschliche Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung ändern können, schrieb Francis Picabia.

Der Rezensent empfiehlt, alle Objekte in guter Laune zu studieren, und verspricht ein hohes Vergnügen. Der Autor entzaubert mit Eleganz und einem spitzen Gedanken-Florett einige Mythen der Kunst. Er fragt: Warum nervt das abgeschnittene Ohr von Vincent van Gogh? Wieso kauft jemand ein unsichtbares Kunstwerk von Salvatore Garau (2021)? Warum ist eine an die Wand genagelte Banane Kunst? Warum ist ein geschreddertes Bild (Mädchen mit Ballon, Banksy, 2018) mehr wert als das ursprüngliche?

Warum wird das umgedrehte und mit „R. Mutt“ signierte Pissoir von Marcel Duchamp (Fountain, 1917) gegenwärtig für 1,7 Mio. Euro gehandelt? Wurde das Sanitärmöbel zur Kunst, weil es im Museum steht? Ein Aktionskünstler pinkelte 1993 im Museum in die oben hängende Keramik. Die Provokation wurde mit einer hohen Geldstrafe sanktioniert. Der Clou an der ganzen Sache: Das Original ging kurz nach seiner Entstehung kaputt. Heute können Besucher in 15 Museen originalgetreue Abbildungen bewundern. „Wenn’s zur Malerei was zu sagen gibt, dann ist die Malerei scheiße“, kommentiert Lydia Balke die heutige Entwicklung. Gerade deshalb lohnt es, lachenden Auges den Versuch zu unternehmen, etwas zu sagen.

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